KM 7994 | Ich erreiche Krasnojarsk und pausiere dort drei Tage. Von Sashas Familie werde ich sehr herzlich aufgenommen. Sasha wohnt mit ihrer Mutter, Großmutter und ihrem Bruder Nikita in einer 3-Zimmer Wohnung. Bei meiner Ankunft duftet es schon aus der Küche und ich werde in diesen drei Tagen reichhaltig bewirtet. Ich bin mir sicher, dass ich in dieser Zeit alles Gewicht was ich auf der Reise verloren habe, wieder angefuttert habe.
Sashas Mutter ist Pädagogin und hat während der langen Sommerferien frei. Sie wäscht meine Klamotten und zum ersten mal auf der Reise trage ich gebügelte T-Shirts und Hosen.
Mit zwei Freunden von Sasha wandere ich in das nahegelegene Stolby-Naturschutzgebiet. Es gibt dort vier Felsen, die aus dem Wald herausragen und die man auch mit etwas Kletterkunst besteigen kann. Auf halber Höhe brechen wir aber ab, da die glatten Felsen durch den Regen rutschig sind und uns die Sache zu gefährlich wird.
Tags darauf schauen wir uns Krasnojarsk an. Sasha zeigt mir ihre alte Schule, die folgenden Fotos geben einen Einruck von dem Gebäude und der Küche. Der Abspüldienst wird reihum von den Schülern verrichtet.
In der Stadt gibt es überall Wifi-Hotspots, ebenso in den meisten Cafes. Was dies angeht, ist Deutschland noch ein echtes Entwicklungsland.
Um Punkt 12 Uhr stehen wir auf dem Hügel Karaulnaja. Jeden Tag um diese Uhrzeit wird ein Schuss aus dieser Kanone abgefeuert. Man kann eine richtige Druckwelle spüren und auf dem Parkplatz nebenan springen einige Alarmanlagen von Autos an.
Vom Stadtbild her sieht Krasnojarsk nicht viel anders aus als die meisten russischen Städte. Die “Normalverdiener” wohnen im Prinzip alle in Plattenbauten. Obwohl es so ein riesiges Land ist und es genügend Platz gäbe, findet man kaum Neubauten. Somit kann man sagen, dass der Wohnraum für die Menschen haupsächlich noch ein Erbe der Sowjetunion ist.
Sasha und Nikita führen mich in ein deutsches Restaurant und wollen meine Meinung zu den Gerichten wissen, die hier angeboten werden. Die Kellner tragen T-Shirts mit der Aufschrift “Mannschaft” auf dem Rücken und auf der Toilette ertönt eine Jodelmusik aus den Lautsprechern.
Die ganze Speisekarte ist haupsächlich auf Kraut mit verschiedenen Würsten und Spätzle ausgerichtet. Es gibt “Klassische Bayrische Wurst” eine gebratene “Weiße Münchener” und weitere Würste von denen ich noch nie gehört habe. Interessant sind auch die angebotenen Maultaschenkreationen in Halbkreisform. Es gibt sie in verschiedenen Füllungen: Kartoffeln, Kraut, Käse und vieles mehr.
Derweil brechen leider meine letzten Wochen der Reise an. Am 1. August wäre mein 90. Tag in Russland. Selbst mein Businessvisum mit einem Jahr Gültigkeit unterliegt der 90/180 Regel. Demnach darf während jedem 180-Tage Fenster die Aufenthaltsdauer von 90 Tagen in Russland nicht überschritten werden. Mit einem Tag Sicherheitspuffer buche ich deshalb mein Rückflug am 31. Juli von Flughafen Irkutsk aus.
Das große Ziel Baikalsee kann ich in dieser Zeit über zwei Wege erreichen: Entweder über die Hauptmagistrale entlang der Transsibirischen Eisenbahn bis an den Südzipfel des Baikalsees, oder aber entlang der BAM bis nach Sewerobaikalsk ans Nordufer. BAM bedeutet Baikal-Amur-Magistrale und ist eine Eisenbahnverbindung von Sibirien bis zum Pazifik im Fernen Osten. Sie wurde erst 1984 nach über 50 Jahren Bauzeit fertiggestellt. Diese Strecke ist für mich allerdings länger und bedeutet 400 Kilometer Piste ohne Asphalt. Ich schaffe es nur bis Ende Juli, wenn ich ein Teilstück mit dem Zug fahre. Trotzdem entscheide ich mich für diese Variante. Grund dafür ist der viele Verkehr zwischen Krasnojarsk und Irkutsk. Es gibt nur eine Straße und hier konzentriert sich alles, was irgendwie zwischen Wladiwostok und Moskau hin- und hertransportiert wird. Vor allem LKWs und die Holzlaster mit abenteuerlicher Ladungssicherung machen die Sache meiner Meinung nach gefährlich.
Somit steht nochmals eine Zugfahrt an, diesmal mit der Transsibirischen Eisenbahn. Als uns der “Administrator” vom Bahnhof extra noch ein Gepäckticket verkauft, auf dem explizit “Veloziped” (Fahrrad) draufsteht, bin ich mir sicher dass der Radtransport im Zug klappt. Wie in den Transportregeln der Russischen Bahn fesgelegt, baue ich das Vorderrad aus, entferne die Pedale und stelle den Lenker quer. Zu guter letzt wird alles noch mit Folie umwickelt.
Als Sasha und ich dann dem Wagonschaffner das Gepäck zeigen, fangen die Diskussionen an. Am Ende stehen vier Wagonschaffner und der Zugchef um mein Rad herum, einer organisiert noch ein Maßband und warscheinlich ist es besser, dass ich das meiste nicht verstehe. Jedenfalls gäbe es überhaupt kein Gepäckwagen mehr und in die Gepäckablage passt das Rad auch nicht. Außerdem sei der Zug voll ausgebucht und auf den Fluren darf kein Gepäck stehen. Während die Minuten bis zur Abfahrt verrinnen, stelle ich mich gedanklich auf meine Alternativroute ein. Irgendwann einigen sie sich aber doch darauf, dass wir das Rad auf mein Bett im Kupe packen und ich eben während der 13 Stunden Fahrt auf dem Gang stehen soll. “Ladna” (Einverstanden)! Glücklicherweise gibt es aber auf dem Gang einen Klapp-Notsitz, auf dem ich mich etwas ausruhen kann.
In Wichorewka baue ich dann mein Rad wieder zusammen und ich fahre entlang der BAM weiter ostwärts. Ich freue mich über wenig Verkehr. Bis ich den Baikalsee erreiche weden noch ein paar Tage vergehen, allerdings kann ich jetzt schon sein Wasser genießen, das man hier im 3-Liter-Kanister kaufen kann.
Es gibt ein paar Tage puren Sonnenschein und die Straße ist fest und trocken. Der einzige Nachteil ist, dass mich jedes Fahrzeug in eine dicke Staubwolke einhüllt und an manchen Streckenabschnitten binde ich mir ein feuchtes Tuch vor den Mund.
Eine Konstante, die mich in ganz Russland und Kasachstan begleitet, ist dieses Kastenbrot. Man bekommt es wirklich überall und in den Dorfläden ist es auch das einzig überhaupt erhältliche. Es schmeckt immer gleich und wie ich finde gar nicht übel. Heute gibt es als Beilage diese gerauchte Speckschwarte, die ich von einem Autofahrer als Geschenk bekomme.
Vor einigen Tagen machte ein Reporter vom “Perwy Kanal”, also dem ersten russischen Staatsfernsehen ein Interview mit mir. Dass dies wirklich ausgestrahlt wurde erfahre ich dadurch, dass mich Leute auf der Straße darauf ansprechen. Der Beitrag ist ein Zusammenschnitt von Jens Kwass, der gerade zu Fuß in Russland unterwegs ist und von mir. Dieser wurde im Frühstücksfernsehen gesendet.
Hallo , lieber Heinrich, wir sind stolz auf dich und deine Erfahrungen.
Deine Berichte über die Tour verfolgen wir seit einigen Tagen regelmäßig, freuen uns aber auch auf ein Wiedersehen. Mache es gut, bis dann, liebe Grüße und alles Gute bis hoffentlich bald zurück in Tübingen,,
Christina und Fritz-Jürgen .
Gut gestärkt zum Endspurt! Liebe Grüße aus Leipzig